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Sehr geehrter Herr Dr. Geissler,
selber gerade in einer Mediationsausbildung, habe ich mit großem Interesse Ihre Schlichtungsbemühungen intensiv verfolgt und habe Ihre Präsenz, Aktivität und Ihren Humor sehr bewundert. Ich bin einer jener Menschen, die am 30.9. ab 11.15 den ganzen Tag im Schloßpark waren und damit die zweite Demo ihres Lebens erlebten und als faktisch erste Demonstration mitmachten. Wie für viele andere Menschen war das Ereignis auch für mich und meinen Partner ein Aufwacherlebnis und in 6 vollständig angeschauten Schlichtungsrunden sowie dem Studium der Presseberichte zur Schlichtung, zu den nachfolgenden Demonstrationen und zur Schlichtung selber habe ich versucht, mir eine eigene Meinung zu bilden. Damit konnte ich in das Nachverfolgen der Ereignisse mehr Zeit investieren als der Durchschnittsbürger und habe über den aktuellen Zustand der Verflechtungen zwischen Politik, Wirtschaft und Medien erschütternd viel gelernt. Zu diesem Punkt brauche ich nicht weiter schreiben – Sie kennen das System von innen.
Ich habe Ihren Schlichterspruch (und auch den Vorgang der Schlichtungen bis zum Freitag, 25.11.), eigentlich als Epochemachend erlebt und meinen Hut vor Ihnen gezogen. Erst der Nachhall in der Presse, dazu auch Ihr eigenes Interview mit der Süddeutschen Zeitung, hat mich aufhorchen lassen und enttäuscht mich im Nachhinein sehr.
Die Kritikpunkte der Gegner haben sich ja in vielem bestätigt. Es wird aber nicht kommuniziert: „Die Bahn hat ein Baurecht und DESHALB kann K21 nicht gebaut werden, auch wenn die Gesamtlösung billiger und genauso effektiv wäre“. Dann wäre man nämlich am eigentlichen Skandal des Ganzen, nämlich der politischen Dimension. Statt dessen schiebt man jetzt noch mehr Geld hinterdrein für eine insgesamt zweitklassige Lösung, die nur durch die zeitliche Vorgehensweise von Bahn und Politik hinsichtlich der Baumaßnahmen und Vergaben (und der damit verbundenen Ausgaben und Pflichten) den Stempel des „zu teuren Ausstieges“ bekommen konnte. Damit hat man ein an sich fragwürdiges und in Teilen womöglich illegales Vorgehen (Baubeginn vor abgeschlossenem Planfeststellung, in Teilen ungesicherte Finanzierung, rechtlich fragwürdige Landesbeteiligung an der Neubaustrecke, Baumfällungen ohne Genehmigung des Eisenbahnbundesamtes und den Einsatz des 30.9.) nachträglich insofern „legitimiert“, als es in der Presse nicht mehr weiter diskutiert wird – und genau diesen Punkt finde ich erschreckend. Sicher waren die Genehmigungen und der 30.9. nicht Thema der Schlichtung. Aber das Signal – im Presseecho und damit an an die Politiker – ist eigentlich: „Mauschelt weiter. Im schlimmsten Fall kommt es raus, aber auch dann läßt sich der Karren noch aus dem Dreck fahren. Die Folgen sind jedenfalls beherrschbar und damit kann Mauscheln zumindest einen Versuch wert sein“
Ich möchte das noch an einer Einzelheit festmachen, auch wenn ich bereits riskiere, daß Sie oder Ihre Helfer mein Schreiben nun als abgehakt zur Seite schieben:
Der Tiefbahnhof macht ohne die Neubaustrecke keinen Sinn. Vieregg und Rössler sind renommierte Gutachter, denen Herr Kefer statt mit nachgewiesenen Zahlen mit angenommenen Ziffern und Taschenrechner entgegengetreten ist. Überraschend an dem Nachmittag auch, daß Sie das allgemein übliche Prozedere des Nachforderungsmanagements nicht wirklich aufgegriffen haben. Die einzige Möglichkeit, auf die damit verbundenen Kostensteigerungen im Vorfeld hinzuweisen, sind eben die Erfahrungen mit der Kostenentwicklung bei öffentlichen Projekten. Die entsprechenden Hinweise wurden meinem Empfinden nach als Spekulation zurückgewiesen. Damit haben Sie der Industrie und Politik den Rücken gestärkt, mit genau jenem Prozedere weiter zu machen. Da mit der Neubaustrecke, die fraglich finanziert und nicht völlig Planfestgestellt ist, auch der Bahnhof steht und fällt, war das meinem Empfinden nach ein gravierender Eingriff. Insofern ist Ihre Aussage im Interview mit der Süddeutschen Zeitung „…Stuttgart 21 ist fehlerhaft. Ich habe gesagt, was man verbessern muss und mich für das realistischere Konzept entschieden. Denn der Tiefbahnhof mit all seinen Mängeln ist eben durchgeplant, er ist finanziert, und er ist realisierbar -
Fazit:
1.Die Bevölkerung wurde im Unklaren darüber gelassen, daß durch das Baurecht der Bahn das Ergebnis der Schlichtung von vornherein nur eine Mängelauflistung erbringen konnte.
2.Der eigentliche Skandal, der in der zeitlichen Vorgehensweise von Politik und Bahn bestanden haben (Tatsachen zu schaffen) und uns nun die angebliche Unaussteigbarkeit bescheren (steht hinter der Bahn nicht der Bund?), wird in der Diskussion der Presse gänzlich übergangen – und das ist auch Ihr Verdienst.
3.Es bewährt sich die Taktik, in Abwandelung von „Brot und Spiele“ (oder modern: Tittitainment), dem Volk ein Bauernopfer hinzuschmeißen (Hosen runter, es muß jetzt nachgebessert werden) um damit von den bislang ebenfalls diskutierten Punkten der Legitimation abzulenken. Unausgesprochen wird damit der Anschein erzeugt, daß mit der Schlichtung auch diese Punkte sich erledigt haben, auch wenn der Schlichterspruch selber mit seinen großartigen und wegweisenden Aspekten eigentlich etwas anderes sagt.
Ich bin vom Ergebnis der Schlichtungen einerseits begeistert, als sie mir Strukturen, Zusammenhänge und Fakten zum Projekt aufgezeigt haben. Ich bin enttäuscht insofern, als Sie Ihre Möglichkeiten, als Hauptperson im Verfahren Klartext zu sprechen, trotz epochemachenden Ansätzen letztlich nicht genutzt haben. Das Volk will nun seine Ruhe. Nur wenige haben die Schlichtungen vollständig verfolgt und die Auswahlkriterien in den Presseberichten bemerkt. Das Sicherheitsbedürfnis ist gestillt und so schläft es weiter.
Ich habe mir erlaubt, diesen Brief auf dem Blog meiner Website www.liebe-
Mit ehrfurchtsvollen, tief hinterfragenden und sehr wertschätzenden Grüßen,
Ihre Beatrix Hachtel